Projektarbeit
Struktur und Qualitätssicherung in der Prävention
"Tun wir die richtigen Dinge und tun wir sie richtig?"
Im Mittelpunkt dieses und des folgenden Abschnitts steht die Frage nach (mehr) Qualität in der lokalen Prävention. Qualitätsentwicklung und -sicherung, Controlling, Projektmanagement und Evaluation in ihren vielfältigen Formen und Begrifflichkeiten. Unter all diesen Schlagwörtern hat die Diskussion um Transparenz und Struktur, Wirkung, Nutzen und Effektivität auch in der Kommunalen Kriminalprävention vermehrt Einzug gehalten.
Seit einigen Jahren wird an Projektverantwortliche und Präventionspraktiker:innen die Forderung erhoben, Standards des Projektmanagements bzw. der Evaluation in ihrer Arbeitspraxis umzusetzen. Dies geschieht einerseits vor dem Hintergrund einer fachlich begründeten Debatte über die Notwendigkeit einer Professionalisierung des Arbeitsfelds. Vor allem aber unter dem Eindruck zusehends angespannter öffentlicher Haushalte.
Seitens der Praktiker:innen werden jedoch immer wieder Vorbehalte gegen die Anwendung dieser Instrumente geäußert. Bedenken bestehen besonders dahingehend, dass Evaluation vor allem Kontrolle und Überprüfung der eigenen Arbeit bedeute und mit dem Projektmanagement außer zeit- und personalaufwendiger Mehrarbeit kein erkennbarer Nutzen verbunden sei. Diese und weitere Befürchtungen werden hier aufgegriffen und dem mit der Anwendung beider Instrumente verbundenen Nutzen gegenübergestellt. Gezeigt werden soll, welchen Vorteil die Anwendung der Instrumentarien für die praktische Präventionsarbeit haben und welche Bedingungen erfüllt sein sollten, damit befürchtete Nebenwirkungen ausbleiben.
Unberücksichtigt bleiben vertiefende Hinweise auf die Methoden insbesondere der Evaluation. Hierzu liegen einige sehr praxisorientierte Handreichungen auch für das Handlungsfeld der kommunalen Kriminalprävention vor, auf die an entsprechender Stelle verwiesen wird. Zum anderen werden keine Hinweise auf typische Erhebungsmethoden (wie Befragungen etc.) werden nicht gegeben, denn es würde zu kurz greifen, Fachleute anderer Professionen, wie Polizist:innen, Sozialarbeiter:innen oder Verwaltungsfachleute, mittels eines Manuals mit den komplexen Methoden der empirischen Sozialforschung vertraut machen zu wollen.
Deutlich werden soll vielmehr, worin der Nutzen eines strukturierten und systematischen Vorgehens bei der Planung, Durchführung und Bewertung von Maßnahmen und Projekten besteht. Bevor eingehender auf das Projektmanagement und im folgenden Abschnitt auf Evaluationen eigegangen wird, sollen die beiden – zunächst sehr ähnlich anmutenden – Konzepte in ein Verhältnis zueinander gesetzt werden.
Projektmanagement und Evaluation: Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Bei der Bewertung von Maßnahmen und Projekten der Kriminalprävention stellen sich zwei grundsätzliche Fragen: „Tun wir die richtigen Dinge?“ und „Tun wir die Dinge auch richtig?“. Mit unterschiedlichen Schwerpunkten geben Projektmanagement und Evaluationen Antworten auf diese Fragen. Evaluationen fragen schwerpunktmäßig nach der Tauglichkeit und Effektivität kriminalpräventiver Maßnahmen („Tun wir die richtigen Dinge?“). Zunächst ist zu klären, ob zentrale Problemstellungen zum Gegenstand der Präventionsarbeit gemacht wurden. Ziel ist anschließend, die Wirksamkeit von Maßnahmen zu überprüfen und sie zu optimieren.
Aufgabe des Projektmanagements ist es, eine strukturierte, kooperative und effiziente Arbeitsorganisation zu gewährleisten („Tun wir die Dinge auch richtig?“). Im Vordergrund steht hier, optimale Rahmenbedingungen für die Projektarbeit zu schaffen und die Projektschritte umsichtig zu koordinieren. Dabei wird auf die Verhältnismäßigkeit zwischen den eingesetzten Ressourcen und dem Nutzen von Maßnahmen geachtet.
Beide Fragestellungen stehen erkennbar in einem engen Zusammenhang:
Das Projektmanagement steuert alle Teilschritte eines Projekts von der zielorientierten Planung über die Durchführung bis zur abschließenden Bewertung. Im Mittelpunkt der Evaluation steht die Bewertung einer Maßnahme, also die Überprüfung eines Projekts. Damit lässt sich die Evaluation als eine Teilaufgabe des Projektmanagements begreifen. Zugleich gelten als Maßstab und Beurteilungsgrundlage für die Umsetzung und nachfolgende Überprüfung von Maßnahmen die in der Projektplanung gesetzten Ziele.
Welche Ziele sollen verfolgt und wie können diese erreicht werden? Wurden die gesetzten Ziele erreicht? Dies sind die zentralen Fragen, an denen sich sowohl Projektmanagement als auch Evaluation ausrichten.
Gute Gründe für ein strukturiertes Vorgehen
Evaluationen, aber auch an Maßstäben des Projektmanagements orientierte Projektberichte, stellen im Bereich der Kriminalprävention immer noch keine Selbstverständlichkeit dar. Das liegt vor allem darin begründet, dass beide Instrumente in der Präventionspraxis mit Ressentiments und Vorbehalten behaftet sind. Wie auch in anderen Professionen und Gesellschaftsbereichen (Jugendhilfe, Soziale Arbeit u.a.m.) begegnen Praktiker:innen der Vielzahl von Aufrufen zu mehr Qualität in der praktischen Arbeit oftmals mit Desinteresse, Skepsis, Unbehagen oder gar Abwehr.
Zu den Vorurteilen, denen sich das Anliegen eines strukturierten, systematischen Projektmanagements von Seiten der Praktiker:innen ausgesetzt sieht, zählen etwa die folgenden Standpunkte:[i]
„Wir müssen doch mit unseren Klient:innen und Kund:innen arbeiten und nicht Projekte steuern!“
„Projektmanagement kostet nur Geld, das uns für die inhaltliche Arbeit fehlt!“
„Projektmanagement haben wir früher auch nicht gebraucht. Das ist doch nur eine Modeerscheinung!“
„Wir haben bald nur noch Manager und Verwalter, aber keine(n) mehr, die/der arbeitet!“
„Projektmanagement schaut doch nur aufs Geld.“
„Das hat doch alles nichts mit Bürger:innen, Klient:innen oder Kund:innen zu tun!“
„Das sind doch Dinge, die wir alle immer schon nebenher mitgemacht haben, ohne lange darüber zu reden.“
Gerade das zuletzt genannte Argument ist auf den ersten Blick nicht von der Hand zu weisen: Natürlich beruht die Arbeit der Polizei und die Sozialarbeit von Lehrer:innen oder der Verwaltung auch ohne die Anwendung des Projektmanagements immer auf bestimmten Zielvorstellungen der beteiligten Individuen. Im Beruf wie im Privatleben verfolgen wir unentwegt nähere und ferne, konkrete und abstrakte Ziele und behalten mehr oder weniger ausgeprägt intuitiv im Auge, ob wir diese Ziele erreichen. Kaum vorstellbar ist, dass sich Personen oder Institutionen in präventiven Maßnahmen engagieren, ohne damit eine bestimmte Intention zu verfolgen.
Die Erfahrung mit misslingenden kriminalpräventiven Projekten und Maßnahmen zeigt jedoch, dass sich die Beteiligten oft nicht ausreichend über ihre Ziele klar geworden sind und miteinander verständigt haben. Eine Zusammenarbeit verschiedener Beteiligter ist aber auf Dauer nicht möglich, wenn über die gemeinsamen Ziele kein Konsens hergestellt wird. Ein strukturierter Prozess der gemeinsamen Zielbildung und -verständigung hingegen zwingt alle Beteiligten zur Reflexion eigener Zielsetzungen und Auseinandersetzung mit den Prioritäten, die möglicherweise von Dritten verfolgt werden.
Transparenz ist ein wichtiges Stichwort für gelingende Zusammenarbeit. Systematisches Projektmanagement ist auf interne wie nach außen wahrnehmbare Transparenz gerichtet. Interne Transparenz betrifft zum Beispiel die Wahrnehmung und den Umgang mit Veränderungen im Projektablauf. Treten im Verlauf eines Projekts etwa Abweichungen von den vereinbarten Zielsetzungen auf, weicht die zeitliche Rahmenplanung von den Vorgaben ab oder zeigt sich, dass Mitarbeiter:innen über wesentliche Entwicklungen nicht im Bilde sind, liefert ein gutes Projektmanagement entsprechende Hinweise und erlaubt frühzeitiges Gegensteuern.
Die Förderung der externen Transparenz durch Anwendung eines Projektmanagements schlägt sich etwa darin nieder, dass Entscheidungsträger:innen und Projektverantwortliche, auch ohne unmittelbar in ein Projekt involviert zu sein, über dessen Fortschritte, Entwicklungen und Probleme informiert sind. So kann ein Projekt aus Sicht der Praktiker:innen „gut laufen“ und sich für eine Fortführung empfehlen. Wird eine solche Bewertung aber nicht mit entsprechenden „Belegen“ und Indikatoren gestützt, besitzt sie weniger Überzeugungskraft. Das Projektmanagement muss nachvollziehbare Erkenntnisse liefern, glaubwürdig und transparent sein, denn damit steigt die Legitimität eines Projektansatzes für externe Entscheidungsträger:innen.
Projektmanagement: zentrale Fragestellungen
Warum spielt das Projektmanagement gerade im Bereich der Kommunalen Kriminalprävention eine wichtige Rolle? Ein wesentlicher Grund liegt darin, dass Maßnahmen in diesem Bereich sehr häufig in Projektform durchgeführt werden. Besonders wenn mehrere Beteiligte zusammenarbeiten, wird dafür zumeist diese Form gewählt. Projekte sind einmalige Prozesse mit einem bestimmten Start- und Endtermin zur Erreichung definierter Ziele.
Vor dem Hintergrund dieser Merkmale von Projekten hat sich eine eigene Methodenlehre – das Projektmanagement – entwickelt, in deren Mittelpunkt die Frage steht, wie Projekte möglichst gut konzipiert, durchgeführt und hinsichtlich ihres Erfolges bewertet werden können. Die zentralen Fragestellungen des Projektmanagements lauten:
- Welche Ziele sollen oder müssen erreicht werden?
- Auf welchem Wege können diese Ziele verwirklicht werden?
- Entspricht die Projektrealität dem geplanten Weg der Umsetzung?
[i] Weitere Beispiele und Hinweise zum Projektmanagement in: Yvette E. Hofmann (2011): 30 Minuten für erfolgreiches Projektmanagement.
Arbeitshilfe
Der Landespräventionsrat Niedersachsen hat sich bereits seit einigen Jahren dem Ziel verschrieben, die Qualitätsentwicklung von Projekten und Programmen im Bereich der Kriminalprävention zu fördern und voranzutreiben.
Die Beccaria-Standards (http://www.beccaria-standards.net/) stellen im Bereich der Kriminalprävention ein einzigartiges Instrument dar, um das Projektmanagement in diesem Bereich anhand definierter Kriterien beurteilen zu können.[i]
Um Präventionspraktikern die Umsetzung dieser (zunächst vergleichsweise abstrakt formulierten) Standards zu erleichtern, wurden zum einen Arbeitsblätter zu den einzelnen Standards erarbeitet. Anhand von Leitfragen und Ausführungshinweisen wird die Bearbeitung der Arbeitsschritte unterstützt. Ein Fallbeispiel illustriert zudem mögliche Bearbeitungsschritte.
Eine jüngste Ergänzung hat das Angebot mit einem interaktiven, internetbasierten Tool erfahren, mittels dessen die verschiedenen Arbeitsschritte durch entsprechende Fragen und Hinweise angeleitet werden.
(http://www.beccaria.de/nano.cms/
de/beccariasteps /Page/1/)
[i] Schulungen zum Beccaria-Qualifizierungsprogramm werden in Niedersachsen, vom Landespräventionsrat Sachsen, dem Österreichischen Zentrum für Kriminalprävention sowie der Leitstelle Kriminalprävention Rheinland-Pfalz angeboten.
Zugeschnitten auf die Planung, Durchführung und Bewertung kriminalpräventiver Projekte hat der Landespräventionsrat Niedersachsen eine Arbeitshilfe mit sieben Schritten erarbeitet, anhand derer eine systematische Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen befördert wird. Ziel der sogenannten Beccaria-Standards ist es, Projektverantwortlichen und -durchführenden einen Leitfaden für die Qualitätssicherung ihrer Präventionsprojekte an die Hand zu geben.
Im Rahmen der Projektdurchführung werden dazu die folgenden als wesentlich erachteten Arbeitsschritte unterschieden:
- Problembeschreibung
- Analyse der Entstehungsbedingungen des Problems
- Festlegung der Präventionsziele, Projektziele und Zielgruppen
- Festlegung der Maßnahmen für die Zielerreichung
- Projektkonzeption und Projektdurchführung
- Überprüfung von Umsetzung und Zielerreichung des Projekts (Evaluation)
- Schlussfolgerungen und Dokumentation
Problembeschreibung
Den Ausgangspunkt jeder Projektentwicklung sollte eine möglichst genaue Beschreibung des Problems bilden, das Anlass zu der Projektidee gegeben hat.[i] Nur auf Basis einer differenzierten Problemanamnese kann eine entsprechende Ursachenanalyse und Maßnahmenauswahl stattfinden. Wenn im weiteren Projektverlauf verschiedene Institutionen oder Akteure bei der Problemlösung mitwirken und zusammenarbeiten sollen, ist es überaus wichtig, diese Beteiligten bereits in dieser ersten Projektphase an einen Tisch zu bringen. Problemwahrnehmungen sind erfahrungsgemäß sehr durch die „Wahrnehmungsbrillen“ verschiedener Professionen geprägt.
Abendlich „herumlungernde Jugendliche“ auf einem Spielplatz nimmt ein Polizist beispielsweise eher als ein Problem im Hinblick auf das Sicherheitsgefühl der Anwohner wahr, wohingegen ein Sozialarbeiter geneigt sein könnte, das Fehlen von Freizeitangeboten oder Aufenthaltsräumen für Jugendliche zu problematisieren. Unschwer ist zu erkennen, dass sich aus diesen Wahrnehmungen und Interpretationen ganz unterschiedliche Präventionsansätze ableiten. Es besteht daher eine unabdingbare Voraussetzung gelingender Kooperation im Bereich der Kriminalprävention darin, dass sich die beteiligten Institutionen über die fachlichen Rahmenbedingungen ihrer Arbeit wechselseitig informieren.
Gesetzliche Vorgaben und Aufträge, die jeweiligen Sichtweisen auf gesellschaftliche Mängel- und Problemlagen, aber auch die zur Lösung von Problemen vorhandenen Instrumente und Methoden prägen die Problemwahrnehmung der verschiedenen Professionen.
In einem ersten Schritt der Problembeschreibung müssen diese verschiedenen Wahrnehmungen und Sichtweisen transparent gemacht und aufeinander abgestimmt werden. Geschieht dies nicht mit der gebotenen Sorgfalt, belassen es die Beteiligten also bei einem unreflektierten Nebeneinander ihrer Betrachtungsweisen, hat dies weitreichende Konsequenzen für die weitere Zusammenarbeit. Mehrwerte, wie sie mit der kommunalen Prävention angestrebt werden, können nicht realisiert werden.
Gerade in der kommunalen Präventionsarbeit kommt diesem ersten Schritt der gemeinsamen Problemidentifikation und -beschreibung demzufolge eine zentrale Bedeutung für die weitere projektbezogene Zusammenarbeit zu.
Nach Klärung und Abstimmung der jeweiligen Problemwahrnehmungen und -perspektiven aller beteiligten Professionen gilt es, das Problem möglichst exakt zu beschreiben, wozu die folgenden Leitfragen der Beccaria-Arbeitsschritte Hilfestellung leisten können:
- Worin besteht das Problem?
- Wo tritt das Problem auf, zu welcher Zeit und in welchem Maße?
- Welche Auswirkungen hat das Problem vor Ort?
- Wer ist von dem Problem betroffen?
- Wie lange existiert das Problem bereits?
- Hat sich das Problem verändert?
Neben einer qualitativen Beschreibung des Problems sollten auch möglichst viele quantitative Informationen zur Präzisierung des Problemausmaßes herangezogen werden. Erfolge und Wirkungen der Projektarbeit lassen sich besser verdeutlichen, wenn diese mit zahlenmäßigen Veränderungen illustriert und belegt werden können.
Zentrale Arbeitsschritte
- mögliche Arbeitsbereiche sammeln und ggf. nach Dringlichkeit sortieren
- ein Thema auswählen
- Zahlen und Fakten zum gewählten Problembereich recherchieren und sammeln
- die Situation vor Ort genau beschreiben
Arbeitsmethoden
- Ideensammlung (beispielsweise Flip-Chart)
- Runder Tisch mit Beteiligten
- Recherche: Statistiken, Studien, etc.
- Befragungen / Beobachtungen
Literatur:
[i] Programm Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK) (Hrsg.) (2009): Arbeitshilfe für Planung, Durchführung und Bewertung von Projekten, Qualitätssicherung in der Polizeiarbeit, Stuttgart, S. 11.
Ursachen ermitteln, Analyse von Entstehungsbedingungen
Eng verbunden mit der Beschreibung des wahrgenommenen Problems ist der sich daran anschließende Arbeitsschritt der Ursachenanalyse. Hierbei gilt es, mögliche Erklärungen zu den Entstehungsbedingungen des beschriebenen Problems zusammenzutragen. Wenngleich dieser Arbeitsschritt manchem Praktiker auf den ersten Blick zu akademisch vorkommen mag, besitzt er auch in praktischer Hinsicht große Relevanz. Zum einen „zwingt“ er die Projektbeteiligten zu gedanklicher Klarheit, wenn sie ihre im Berufsalltag häufig unausgesprochenen subjektiven Annahmen über die Ursachen und Entstehungsbedingungen von Problemlagen schriftlich festhalten. Zweitens ermöglicht und fördert dieser Arbeitsschritt eine Diskussion der Beteiligten darüber, ob deren Annahmen über tieferliegende Ursachen eines Problems übereinstimmen oder voneinander abweichende Deutungen die Problemwahrnehmungen bestimmen.
Besonders wenn zum Beispiel Polizei und Sozialarbeit in einem Projekt miteinander kooperieren, leistet dieser Arbeitsschritt einen wichtigen Beitrag zur Diskussion und Reflexion darüber, welches Präventionsverständnis die gemeinsame Projektarbeit leiten soll. Regelmäßig wird vor einer späteren Auswahl geeigneter Maßnahmen zu entscheiden sein, ob das Projekt grundsätzlich darauf abzielen soll, situativ die konkreten Bedingungen für unerwünschtes Verhalten zu beeinflussen (die sogenannte sekundäre Prävention zielt hier auf die Tatbegehungssituation ab) oder tiefergehende soziale oder in der Person des Täters liegende Ursachen in den Blick nimmt.
Unabhängig vom Ergebnis dieses Entscheidungsprozesses ist es wichtig, eine solche Auswahl reflektiert, begründet und nachvollziehbar zu treffen. Wird kein gemeinsames Verständnis der Beteiligten über die Reichweite und Zielrichtung des präventiven Vorgehens hergestellt, beklagt später der eine Beteiligte, „man kuriere doch nur die Symptome“, während der andere bemängelt, „an den wirklichen Ursachen“ des Problems könne man sowieso nichts ändern.
Zu den tieferliegenden Dimensionen, die einzeln oder als Bündel für die Entstehung und das Zustandekommen von Kriminalität verantwortlich sind, zählen etwa:[i]
- Persönlichkeitsmerkmale einer Person, zum Beispiel biografische Erfahrungen, persönliche Einstellungen, Wertüberzeugungen;
- soziale, wirtschaftliche und kulturelle Ressourcen der Person, zum Beispiel Bildung, Einkommen, Zugang zu sozialen Netzwerken;
- soziales Umfeld, zum Beispiel Familie, Erziehungsstil, Einfluss von bzw. Bindungen an Freundeskreis, Gleichaltrigengruppen, Schule bzw. Arbeitsumfeld;
- sozialräumliche Bedingungen, zum Beispiel Siedlungsstruktur, soziale Zusammensetzung von Wohnvierteln, Verkehrsströme, Freizeitangebote, Grad der sozialen Kontrolle von öffentlichen Räumen;
- allgemeine gesellschaftliche Lebensbedingungen, zum Beispiel Arbeitslosenquote, Konsummuster, Zugang zu Ausbildungsplätzen.
An dieser Aufzählung möglicher Ursachenfaktoren wird deutlich, dass die tieferliegenden Entstehungsbedingungen von Kriminalität zumeist außerhalb der Beeinflussungsmöglichkeiten eines Projekts liegen dürften. Um einen Begründungszusammenhang zwischen möglichen Kriminalitätsursachen und deren angestrebter Beeinflussung in einem konkreten Projekt herzustellen, werden daher in aller Regel abgeleitete, überschaubarere Teilzusammenhänge in Frage kommen.
Der Arbeitsschritt der Ursachenanalyse erhält auch vor dem Hintergrund einer zielgerichteten Maßnahmenauswahl große Bedeutung. Nur wenn zuvor Annahmen über die Entstehungs- und Bedingungsfaktoren eines Problems angestellt werden, kann eine zielgerichtete Auswahl geeigneter Maßnahmen vorgenommen werden.
Die Darlegung von Annahmen über die zu Grunde liegenden Ursachen eines Problems stellt zudem eine Voraussetzung für die Bewertbarkeit eines Projektansatzes dar. Nur wenn die Annahmen über die Entstehungsbedingungen und Ursachen deutlich gemacht werden, kann ein Außenstehender einschätzen, ob das gewählte Vorgehen zu dessen Beseitigung sinnvoll erscheint. Eine fundierte Würdigung von Projekten und Maßnahmen ist nur möglich, wenn deutlich wird, auf Grund welcher Annahmen sich die Beteiligten für ein bestimmtes Vorgehen entschieden haben. Bei der Ermittlung möglicher Ursachenzusammenhänge kann auf folgende Leitfragen und Vorgehensweisen zurückgegriffen werden:
Zentrale Fragen
- Was sind mögliche Ursachen des Problems?
- Welche Erklärungen passen am besten zur Situation vor Ort?
Zentrale Arbeitsschritte
- Sichtung und Sammlung möglicher Ursachen in der Literatur, durch Internetrecherchen und Beschreibung eigener Erfahrungen
- Beschreibung eines angenommenen Ursachenzusammenhangs für das konkrete Problem vor Ort
Arbeitsmethoden
- Recherche: Literatur, andere Präventionsgremien, Internet
[i] Programm Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK) (Hrsg.) (2009): Arbeitshilfe für Planung, Durchführung und Bewertung von Projekten, Qualitätssicherung in der Polizeiarbeit, Stuttgart, S. 15.
Gemeinsame Ziele festlegen
Im Zentrum eines jeden Projekts stehen dessen Ziele. Sie können als Beschreibung eines gewünschten, angestrebten Zustandes eine große integrative Kraft bei der Durchführung eines Projekts entfalten, motivierend und strukturierend wirken und den Zusammenhalt der Beteiligten stärken. Fehlen Ziele hingegen, sind diese schlecht gewählt oder wissen die Beteiligten nicht, welchen Zielen die Projektarbeit folgt, ist ein Projekterfolg mehr als unwahrscheinlich.
Was lässt sich ganz allgemein als Ziel beschreiben?
Unter einem Ziel wird ein angestrebter Zustand (Soll) oder eine erwünschte Wirkung verstanden. Ziele beschreiben also zukünftige Ergebnisse, die durch bestimmte Maßnahmen oder Lösungen erreicht werden.[i]
Ziele sollten grundsätzlich schriftlich festgehalten werden. Die damit verbundene Formulierungsarbeit hilft zum einen, intensiv und vertieft über die Anliegen eines Projekts nachzudenken. Zum anderen treten dabei oftmals neue Fragen, Ungereimtheiten, Widersprüche und Schwachstellen zutage, es wird quasi eine erste Erreichbarkeitsprüfung durchgeführt. Zudem wird in der Kriminalprävention grundsätzlich nach Präventions- und Projektzielen differenziert. Präventionsziele (manche sprechen auch von Oberzielen, globalen Zielen oder allgemeinen Zielen) sind dabei immer auf das eigentliche Präventionsanliegen des Projekts gerichtet. Dieses besteht in der Eindämmung von Kriminalität (Verhinderung und / oder Verminderung von Straftaten) oder in der Verbesserung der subjektiven Sicherheit (Stärkung des Sicherheitsgefühls bzw. Minderung der Kriminalitätsfurcht).
Projektziele sind dagegen die unmittelbaren Zielsetzungen, die durch ein Projekt angestrebt werden. Bei einem Projekt, dessen Präventionsziel die Reduzierung von Körperverletzungsdelikten bei Jugendlichen im schulischen Bereich ist, könnten beispielsweise folgende Projektziele handlungsleitend sein: Verbesserung des allgemeinen Schulklimas, Stärkung der sozialen Kompetenzen von Jugendlichen insbesondere bei der Austragung von Konflikten, Erhöhung der Sozialkontrolle im schulischen Raum.[ii]
Ziele müssen klar, konkret und überprüfbar formuliert sein. Sie sollten nach Möglichkeit zudem quantitative Aussagen, etwa zum derzeitigen Problemausmaß und den angestrebten Projektzielen, enthalten, weil sich auf der Basis zahlenmäßiger Zielwerte der Erfolg messen und das Projekt bewerten lässt. Ziele sollten demnach Aussagen darüber enthalten, was, wo, in welchem Zeitraum und in welcher Größenordnung erreicht oder verändert sein soll.
[i] Bundesministerium des Innern (Hrsg.) (o.J.): Moderner Staat – Moderne Verwaltung, Projektmanagement im Bundesministerium des Innern und seinem Geschäftsbereich -Praxisleitfaden-, Berlin, S. 9.
[ii] Landespräventionsrat Niedersachsen (2007): Qualität in der Kriminalprävention, Beccaria-Standards, Hannover, S. 5.