Städtebauliche Prävention
Handlungsfeld kommunaler Prävention
Entstehungshintergrund
Auf der Suche nach Ursachen kriminellen Verhaltens wurden bereits vor 150 Jahren auch Zusammenhänge zwischen Kriminalität und Wohnumgebung untersucht. Erste empirische Untersuchungen zur Überprüfung dieses Zusammenhangs führten Vertreter der sogenannten Chicago-Schule in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch. Im Mittelpunkt des Interesses stand dabei die Frage, warum sich sozial abweichendes Verhalten in bestimmten Stadtteilen amerikanischer Städte konzentrierte.
Kennzeichen sich problematisch entwickelnder Stadtquartiere waren unter anderem das weitgehende Fehlen städtischer Öffentlichkeit, die Konzentration benachteiligter Bevölkerungsgruppen und ein mangelndes Verantwortungsbewusstsein der Bewohner für das eigene Wohnumfeld. In einer solchen Umgebung wird die Entstehung von Nachbarschaften und gemeinsam wahrgenommener Verantwortung erschwert, weil die Bewohner durch die gestalterische Unübersichtlichkeit und Anonymität ihres Viertels verunsichert sind, sich in die Privatheit ihrer Wohnungen zurückziehen und zum Beispiel Hauseingänge oder Grünflächen der Verschmutzung, Verwahrlosung oder Zerstörung überlassen.
Theoretische Grundlagen der Prävention
Vor dem Hintergrund dieser in vielen Städten zu beobachtenden Probleme beschäftigte sich der Architekt Oskar Newman als einer der Ersten mit der Frage, wie architektonische und städtebauliche Elemente gezielt eingesetzt werden können, um Kriminalität und Unsicherheitsgefühlen in Siedlungen entgegenzuwirken. Im Mittelpunkt seiner Überlegungen stand die Leitfrage, wie eine Wohngestaltung aussehen müsse, um den Bewohnern eine bessere informelle Kontrolle zu ermöglichen. Anfang der 1970er Jahre entwickelte er das Konzept des "Schutz bietenden Raums" ("Defensible Space"). Es geht von der Überlegung aus, dass eine Wohnlage auf potentielle Straftäter weniger attraktiv erscheint, wenn sie geschlossen und überwacht wirkt. Im Wesentlichen besteht Newmans gestalterischer Ansatz zur Vorbeugung von Kriminalität in der Anwendung von vier Planungsgrundsätzen, die als Grundpfeiler seines Konzeptes angesehen werden können:
- "Territorialität"
Mit diesem Begriff wird die Einteilung in privaten, halbprivaten, halböffentlichen und öffentlichen Raum beschrieben. Durch eine solche Einteilung soll deutlich sichtbar gemacht werden, auf welche Gebiete Nutzungs- oder Eigentumsansprüche geltend gemacht werden und wo solche Einschränkungen etwa im öffentlichen Raum nicht bestehen. Übergänge zwischen den verschiedenen Bereichen können durch materielle Barrieren wie Mauern, Zäune und Türen gestaltet werden oder mit Hilfe symbolischer Barrieren, etwa in Form von Bodentexturen, offenen Toren oder Grünflächengestaltung.Bei diesem Gestaltungsprinzip wird von einem Zusammenhang zwischen Raumgestaltung, menschlicher Wahrnehmung und einem entsprechenden Verhalten ausgegangen. - "Natürliche Überwachung"
Des Weiteren gilt es Newman zufolge, durch gestalterische Mittel eine natürliche Wachsamkeit in einer Nachbarschaft zu fördern. Dies kann beispielsweise dadurch geschehen, dass die Fenster eines Hauses auf die Haustür oder bestimmte Bereiche des öffentlichen Raumes (zum Beispiel Park- oder Spielplätze) gerichtet sind. Einem potentiellen Täter wird damit signalisiert, dass er beobachtet werden könnte, wodurch sein Entdeckungsrisiko steigt. Auch der Berücksichtigung von Sichtachsen etwa bei der Gestaltung von Grünflächen kommt in diesem Kontext eine große Bedeutung zu." - "Image"
Ein positives Image ist laut Newman geeignet, die Identifikation der Bewohner mit ihrem Wohnumfeld zu steigern und damit ihre Bereitschaft zu fördern, für seine Unversehrtheit Verantwortung zu übernehmen. Durch eine attraktive Gestaltung der Wohngebäude und des Umfeldes wird außerdem einer negativen Wahrnehmung oder gar Stigmatisierung von Siedlungen entgegengewirkt. Unübersichtlichkeit steht einer Identifikation der Bewohner mit dem Wohnungsumfeld, der Entstehung von Nachbarschaften sowie einer natürlichen Überwachung entgegen.
- "Mileu"
Für die Sicherheit in Siedlungen hält Newman zudem deren Überschaubarkeit für wesentlich. Damit die Bewohner ihre Wohnumwelt noch überblicken können, muss daher die "Maßstäblichkeit" erhalten bleiben. Vorzugsweise sollten Mehrfamilienhäuser also nicht zu viele Wohnungen umfassen, und die Zahl von Wohnungen pro Hauseingang und Korridor sollte außerdem so begrenzt werden, dass diese halbprivaten Bereiche durch die Bewohner kontrolliert werden können.
Mir diesen Planungsprinzipien hat Oscar Newman die Basis für eine Vielzahl weiterer Konzepte gelegt, die ebenfalls zum Ziel haben, durch eine zielgerichtete Gestaltung der Wohnumwelt Kriminalität zu verringern und das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung zu fördern.
Anwendung
Der Katalog gestalterischer Maßnahmen zur Vermeidung oder Umgestaltung von Angst-Räumen und zur Vorbeugung von Kriminalität ist vielfältig. Für verschiedene Bereiche und Anwendungsfelder (Verkehrsplanung, Freiraumplanung, Wohnhäuser, öffentliche Gebäude und Einrichtungen etc.) sind Kriterienlisten baulich-räumlicher Maßnahmen entwickelt worden, die einer Entstehung von Angst-Räumen entgegenwirken. Das Spektrum reicht dabei von einer guten (nächtlichen) Beleuchtung über baugestalterische Maßnahmen für Grünflächen, Einfahrten, Zugänge und Wegeführungen bis zur dezentralen Ansiedlung von Geschäften, Supermärkten etc. Ziel ist es, Wohngebiete zu beleben und damit soziale Aufmerksamkeit und Kontrolle zu ermöglichen bzw. zu fördern.
Mit Hilfe von Kriminalitätsvorbeugung durch zielgerichtete präventive Gestaltung von Gebäuden, öffentlichen und halböffentlichen Räumen kann die Raumstruktur und somit die Kriminalitätsstruktur beeinflusst werden. Unterstützend wird dabei auf kriminologische Forschungsergebnisse und Regionalanalysen sowie auf Kriminalitätslagebilder zurückgegegriffen, die für die Umgestaltung von Wohngebieten und die planerische Gestaltung neuer Wohngebiete von Bedeutung sind.
Wo finde ich einschlägige Informationen zu konkreten Präventionsmaßnahmen?
Eine gute Einführung in das Thema beinhaltet das Internetangebot der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK).
Ergebnisse des Forschungsprojektes "Sicherheit im Bahnhofsviertel - SiBa" (2017-2020) wurden in einem „Werkzeugkasten (Kriminal-)Prävention" zusammengefasst, der hier heruntergeladen werden kann. Dort finden sich Praxisbeispiele und Hinweise zu weiterführenden evidenzbasierten, sowie auch vielversprechenden (noch) nicht auf ihre präventive Wirkung hin evaluierten Maßnahmen.
Umfangreiche Informationen und Ergebnisse zu verschiedenen Aspekten des Themas Sicherheit im Städtebau beinhaltet der Sicherheitspool, der im Rahmen des Forschungsprojekts "DIVERCITY-Sicherheit und Vielfalt im Quartier" entstanden ist.